Wenn der Transtalk ins Auge geht

Trans-Novizin

Erfahrungen einer “Trans-Novizin”

Aller Anfang ist schwer! Das sei hier verdeutlicht an meinem ersten Besuch beim Transtalk im Frühjahr 2010. Der Transtalk ist ein Treffen transidenter Menschen, ihrer Angehörigen und Freunde in Karlsruhe, das dort jeden dritten Freitag im Monat stattfindet. Es war für mich ein denkwürdiger und dazu ein ziemlich kurzer Besuch. Ganz im Gegensatz zu den aufwändigen Vorbereitungen und den schmerzhaften Nachwehen.

Ich hatte mich gerade „freigetranst“, war sozusagen eine Trans-Novizin und machte mich erstmals auf den Weg nach Karlsruhe. Loretta, meine streitbare Freundin und eines der ersten Trans-Mädels, die ich in freier Wildbahn getroffen hatte, unterstützte mich nach Kräften und machte mir Mut. Die Angst und die Erwartungen waren gleichermaßen groß.

Nun ist Frau nicht ohne Eitelkeit, hat gewisse Vorstellungen von ihrem Äußeren und versucht diese „brutalst“ möglich umzusetzen. Mein erster Auftritt sollte nach meiner Phantasie ohne Brille stattfinden. Dabei bin ich ohne Nasenfahrrad fast so blind wie ein(e) Maulwurf*(in). Also mussten Kontaktlinsen herhalten. Dabei können Brillen so hilfreich sein. Wenn der Juwelier nachts zum Beispiel Augenringe gebracht hat, so können sie selbige kaschieren. Und auch sonst verbergen sie die eine oder andere Unebenheit und können gleichzeitig noch einen gewissen Schick und Stil unterstreichen. Das habe ich aber erst später begriffen.

Nach meiner Ankunft in Karlsruhe also rein ins Hotelzimmer, Linsen in die Augen, und es ging los mit den Schminkkünsten am zwar aufgeregten, aber dennoch lebenden Subjekt. Selbstversuche sind schon spannend. Nun waren zu jener Zeit die Malarbeiten auf den Höhen und leider auch in den Tälern meines Gesichts noch nicht sehr ausgereift. Ich arbeitete zu jener Zeit noch mit einer schriftlichen Gebrauchsanweisung, um auch ja nichts zu vergessen und um die Reihenfolge akribisch genau einzuhalten.

Bei der Augenbemalung stellte sich plötzlich ein gewisses Störgefühl im Inneren des linken Auges ein. Ich war guter Hoffnung, dass ich dieses unvorhergesehene Ereignis in den Griff bekommen könnte. Das war jedoch ein Trugschluss. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass die Linse verrutscht sein musste. Das Auge lieferte nur noch verschwommene Bilder von meiner Umgebung. Glücklicherweise haben wir zwei Augen. Mit dem intakten Auge brachte ich also die restlichen Schminkarbeiten zu einem mehr oder weniger akzeptablen Ende. Das andere Auge zwickte und drückte, was ich tapfer ignorierte. Ebenso tapfer machte ich mich auf den Weg zur Transtalk Party. 

Loretta begrüßte mich begeistert und nahm mich unter ihre Fittiche. Ich lernte auch gleich ein paar andere Mädels kennen, mit denen es zu einem angeregten, mehr oder weniger intellektuellen Gedankenaustausch kam. „Wia hoisch?“, „Woher kommsch?“, „Wia lang machsch des scho?“ Alles tiefgründige Fragen, die zur Erhellung und Erleuchtung als Trans-Mädel beitragen sollten.

Nach kurzer Zeit sagte mir jedoch mein Auge, erstens, dass es noch da sei (und darüber freute ich mich) und, zweitens, dass es sich in suboptimalem Zustand befinde (was meine anfängliche Freude wieder limitierte). Nach einem vergeblichen Versuch, auf meinem Hotelzimmer Ordnung in die Angelegenheit zu bringen, kehrte ich zu unserer illustren Runde zurück. Bald gab es jedoch erneut Handlungsbedarf. Ich suchte mein Zimmer wieder auf und begann damit, das Auge mit verschiedenen Maßnahmen zu bearbeiten. Zuerst vorsichtig, dann immer intensiver. Ich hatte den Eindruck, dass die Linse sich in irgendeinem Augenwinkel versteckt haben musste oder dass sie sich in mehrere Teile zerlegt haben könnte.

Nach einem Blick in den Spiegel durfte ich feststellen, dass die sorgfältig aufgetragene Schminke nicht mehr da war, wo sie hingehörte. Außerdem hatte sich zu dem ursprünglich braunen Lidschatten im Inneren des Auges ein intensives Rot gesellt, von dem ich definitiv sagen konnte, dass es nicht zu meinem Schminkrepertoire gehörte. Außerdem fing diese Farbkombinationen an, nicht nur optisch, sondern auch körperlich weh zu tun.

An eine Rückkehr zu den Mädels war nicht zu denken. Der erste Transtalk war intensiv, im wahrsten Sinne des Wortes mit einer Stunde sehr kurz, und er endete in einem Desaster. Frustriert wischte ich mir das Rest-Make-up aus dem Gesicht, wobei der rote Teil im Auge blieb, und ging ins Bett. 

Früh am Morgen wachte ich auf, konnte aber nur ein Auge öffnen. Das andere war irgendwie unwillig, verschwollen und es piesackte mich. So verließ ich Karlsruhe mit einem eingeschränkten Gesichtsfeld und fuhr einäugig in Richtung Heimat. Es war Samstag, und ich hatte mich zuvor bei einem augenärztlichen Notdienst angemeldet. Dort wurde festgestellt, dass schon lange keine Linse oder Teile von ihr im Auge vorhanden waren, dass dieses sich aber mit einer massiven Vereiterung über die ungebührliche Behandlung am Vorabend heftig beschwerte. Tropfen und Salben halfen danach dabei, das Auge wieder versöhnlich zu stimmen.

Meine Frau war ausgesprochen sauer.  Zurecht, wie ich heute sagen kann. Bei ihr hatte ich mich erst kurz zuvor als Transgender geoutet, und meine Kinder wussten noch nichts darüber. Ich sollte bei den Vorbereitungen für einen Geburtstag von Freunden helfen und kam mit zwei Stunden Verspätung und dem nicht glücklich dreinschauenden Auge an. Gut war, dass dort die Arbeit bereits getan war. Unglücklich, nein, wütend, schaute dagegen meine Frau, weil sie nicht wusste, wie sie das Entstehen des Malheurs erklären sollte, ohne gegenüber unseren Söhnen eine andere Story zu erfinden (dazu sagt man auch „lügen“), was ihr absolut gegen den Strich ging. „Wie kann man so dämlich sein und sich mit Kontaktlinsen im Auge schminken”, war einer ihrer noch freundlicheren Kommentare. Insgeheim gab ich ihr Recht, ein bisschen wenigstens. Mich beruhigte diese Aussage auch ein wenig, weil meine liebe Gattin damit weitere Ausflüge dieser Art ja nicht in Frage stellte, nur forderte, zukünftig eine Brille zu tragen.

Seither hat mich der Transtalk nur mit Brille gesehen. Dieser Art gewappnet, ist er auch nie wieder ins Auge gegangen. Vielmehr habe ich wunderbare Abende in Karlsruhe erleben dürfen. Also Mädels, immer schön die Augen offenhalten und Probleme vermeiden, bevor sie entstehen. 

Mit Doris (li.), Loretta (re.) und Brille (mitten im Gesicht) beim Transtalk
Mit Doris (li.), Loretta (re.) und Brille (mitten im Gesicht) beim Transtalk in Karlsruhe

Aller Anfang mag schwer sein. Mit Hermann Hesse kann ich im Nachhinein aber sagen, dass jedem Anfang auch eine Zauber inne wohnt. Und übrigens: Bei anderer Gelegenheit habe ich mich doch wieder mit Kontaktlinsen an den Farbtopf getraut. Es ist immer gut gegangen. Aber bitte nicht weitersagen!

Bianca

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