Outing im Alltag

Ich habe mir vorgenommen, immer wieder einmal über das viel diskutierte Thema Outing zu schreiben. Heute dazu meine ersten Gedanken, mit denen ich dem Thema ein wenig mehr Leichtigkeit geben möchte. Dennoch sollten wir uns ein Outing als Transgender immer gut überlegen und damit nicht leichtfertig umgehen.

Hast Du Dich schon einmal geoutet? Nein? Das kann nicht sein! Wir alle outen uns ständig! Denn wir offenbaren regelmäßig etwas über uns. Durch Sprache, Schrift, Gestik, Mimik. Unser Leben ist ein einziger „Offenbarungseid“! Sozusagen! Und positiv betrachtet! Unseren Mitmenschen verraten wir andauernd etwas über unsere Bedürfnisse! Bewusst und unbewusst! Wir sprechen über „Leidenschaften“, Eigenschaften, Erwartungen und Interessen! Über Geleistetes und Liegengebliebenes! Über Gelungenes und Fehler! Über glückliche Umstände und Missgeschicke. Über kleine Geheimnisse und große Klopper. Das Reservoir an Outingmöglichkeiten ist unerschöpflich! Man kann auch sagen, wir leben unser Leben mehr oder weniger „verräterisch“! Weil wir immer etwas „rauslassen“ und uns niemals vollständig zurückhalten können. Auch ein Pokerface kann das nicht.

Sender und Empfänger

Die große Frage ist, von welcher Tragweite unsere Offenbarungen, unsere Outings sind. Und noch wichtiger ist die Frage, wie sie bei Anderen, bei den Empfängern, ankommen. Ob das Outing in den Mainstream passt und salonfähig ist. Ob es in der Summe der täglichen kleinen Outings untergeht. Oder ob die frohe Botschaft eher selten daherkommt und für Überraschungen, ja Verschnupfungen, Mobbing und Ablehnung sorgen kann. Geoutete Transidentität gehört (noch) überwiegend zu Letzterem. Leider! Deshalb ist Vorsicht geboten!

Beispiele aus dem Leben

Offenbarungen und wie sie ankommen. Hier einige Beispiele. Nehmen wir an, jemand verrät, dass er gerne Käse isst. Vielen Zeitgenossinnen und -genossen wird das „gefallen“, weil sie ebenfalls Freunde der zur Festmasse gewordenen sauren Milch sind. Andere wiederum dürften den „Fromage“ in seiner Vielfalt ablehnen, weil sie sich vielleicht als nicht dem französischen Volk zugehörig oder als Veganer outen! Oder beides! Soll ja vorkommen. Geoutete Veganer wiederum stoßen überwiegend auf Zustimmung unter ihresgleichen, jedoch häufig nicht bei den zahlreich vorhandenen fleischfressenden Pflänzchen unter uns, die sich zunehmend weniger zu einem Outing entschließen können, weil ihnen der erhobene Finger oder gar der mittelalterliche Pranger der inzwischen zahlreich vorhandenen Moralapostel in unserer Gesellschaft droht. Dabei hat alles irgendwie mit Kühen zu tun, die, zwar geoutet, nichts dafür können, wenn so manche Wichtigtuer nur den Käse mögen, den sie die ganze Zeit daherreden. Beim „Käse daherreden“ finden jedoch die allermeisten Offenbarungen statt. Inhaltlich und charakterlich. Wenn man genau hinhört und aufpasst.

Verstanden? Nein? Gut! Noch ein Beispiel! Nehmen wir den gänzlich unrealistischen Fall, dass ein Sprössling auf eine Partynacht verzichtet und stattdessen am frühen Sonntagmorgen seinen Altvorderen offenbart, in die Kirche zu gehen. Ein Outing als Kirchgänger. Das wird die christlich konservativen Erziehungsberechtigen eventuell wundern, es wird ihnen vielleicht aber auch gefallen. Alles richtig gemacht, meinen Sie! Naja! Es könnte aber auch sein, dass das abendländisch erzogene Kind verlautbart, dass es sich mehr zu einer Moschee hingezogen füllt. Die gegenteilige Reaktion wäre dann vielleicht der Fall. So ein missratener Sohn. Regelmäßig haben wir ihn in die christliche Glaubensgemeinschaft eingeführt. Sogar der Pfarrer hatte ihn besonders „lieb“ und stand ihm „nahe“. Vielleicht war jedoch diese „Nähe“ gerade das Problem für die Hinwendung zu einer anderen Glaubensgemeinschaft.

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Die traditionelle Form einer Outing Box, auch Beichtstuhl genannt. Aus heutiger Sicht weitgehend ungeeignet, vor allem für Transgender!

Nehmen wir umgekehrt an, der Spross eines streng muslimisch geprägten Elternhauses kündigt den Gang in eine christliche Kirche an. Das könnte auch schwierig werden. Jedenfalls kann es so- oder andersrum eine Herausforderung sein mit der Offenheit. 

Weitere Beispiele für Outings gefällig?

  • Wir gestehen dem Polizisten, dass wir einen über den Durst getrunken haben. Und wenn wir es nicht tun, dann übernimmt das ein Gerät, in das wir zuvor hineinpusten durften. Eine sogenannte „Outingbox“.
Eine weitere Outingbox, berechtigt, aber nicht beliebt!
  • Wir verraten unserer Angebeteten oder unserem Angebeteten unsere große und lebenslange Liebe. 
  • Wir gestehen dem Chef oder der Chefin, dass die Bahn doch keine Verspätung hatte. Wir haben einfach verschlafen und kommen deshalb erst um 12 Uhr ins Büro, gerade rechtzeitig zum „Lunch“. Solcher Art Vorgetragenes wird den „Vorgesetzten“ bestimmt freuen. 
  • Als Kind verraten wir der Mami, dass wir beim Kicken die von der Erbtante Elfriede vorzeitig mit „warmer“ Hand übereignete, vermeintlich wertvolle Bodenvase in ihre Bestandteile zerlegt haben und dass das doch nicht die kleine Schwester gewesen ist, wie wir zunächst behaupteten. Wenn wir gewusst hätten, dass sich Mami insgeheim über die Vernichtung des hässlichen Teiles freut, dann hätten wir uns dieses Outing schenken können und die Schwester zuvor nicht in die Pfanne gehauen.
  • Wir verraten dem Gatten oder der Gattin, dass der Mann im Bett nicht der Gasmann (m/w/d), sondern der Postbote (m/w/d) ist.
  • Wir gestehen, dass wir FC Bayern Fan sind.
  • Wir gestehen, dass wir Schalke Fan sind.
  • Wir gestehen, dass wir Fußball überhaupt nicht mögen.
  • Wir outen uns als einer der ganz wenigen Fans von Helene Fischer.
  • Wir nuscheln beim Frühstück, dass wir nachts schlecht geschlafen hätten. Dabei konnte der Partner das schon längst erkennen, nämlich daran, dass wir im Badezimmer zum Zähneputzen die dort ebenfalls aufbewahrte Gleitcreme benutzt haben. Dabei sollte es doch gerade deshalb „flutschen“!
  • Wir nehmen jemanden herzlich in den Arm und beweisen so still unsere Liebe, Zuneigung, Wertschätzung, Freude oder unser Mitgefühl. Ein sehr schönes Outing. Bitte mehr davon!

Erkenntnis

Was wollen uns diese Worte sagen. Nun, lasst mich noch einmal darüber nachdenken. Ach ja, hier sind die für mich wesentlichen Erkenntnisse:

  • Outings sind etwas Alltägliches und omnipräsent in unserem Leben.
  • Es gibt Outings mit kleinen oder größeren Konsequenzen für den Geouteten wie auch für die „Empfänger“ des Outings.
  • Es kommt deshalb immer darauf an wie das Gegenüber bei einem Outing reagiert und wie tolerant und offen die Menschen sind.
  • In der Summe vieler Outings gehen einzelne Offenbarungen unter und werden kaum zur Kenntnis genommen. Wann wird Transidentität dazu gehören? Wir werden sehen!
  • Denn es kommt immer darauf an, welche Offenbarungen in unserer Gesellschaft selbstverständlich, alltäglich, akzeptiert und toleriert sind.
  • Transidentität ist eines von vielen möglichen Outings. Es sollte nie für sich allein betrachtet, und Menschen sollten nicht ausschließlich darauf reduziert werden.
  • In unserer Gesellschaft sollte geoutete Transidentität nicht zum Schreckgespenst und zur Katastrophe hochstilisiert werden. Wir sollten sie als eine von vielen Ausprägungen unseres Lebens akzeptieren und tolerieren.
  • Transidente Menschen sollten damit aufhören, durch die Überbetonung ihrer Transidentität beim Outing und danach, diesem Thema einen zu hohen Stellenwert zu verleihen. Den braucht es nicht. Denn Transidentität ist eine Ausprägung von vielen. Transidentität ist nicht besonders toll oder besonders schlimm. Wir sind auch keine Randgruppe, nichts Besonderes, Exotisches oder Außergewöhnliches. Mit diesem Verständnis verursachen wir nur Schwierigkeiten. Wir sind einfach da! Und deshalb haben wir unsere „Da“seinsberechtigung.
  • Wenn wir irgendwann beiläufig erwähnen können, „Ach, übrigens, ich bin Trans“, und keinen schert es weiter, dann haben wir es geschafft. Träumen darf man ja! Und das ist nicht das schlechteste Ziel.

Mein Fazit

  • Outings als Transgender wollen gut überlegt sein, weil das Thema noch nicht umfassend gesellschaftsfähig ist und die Betroffenen in Schwierigkeiten bringen kann.

  • Es geht nicht nur um den Augenblick des Outings, sondern auch um das Nachdenken über mögliche Konsequenzen in der Zukunft.

  • Dennoch kann das Outing als Transgender ein befreiender Weg sein, der „Druck aus dem Kessel“ nimmt.

         

 

  • Beim Outing kommt es nicht nur auf das „ob“, sondern auch auf das „wann“ und „wie“ und „gegenüber wem“ an.

  • Toleranz, Lockerheit, Gelassenheit und ein Spritzer Humor können nicht schaden, bei denen, die sich outen und bei denen, die solch frohe Botschaften entgegennehmen dürfen. Das wollte ich mit diesem Beitrag deutlich machen. Denn wir sind in erster Linie Menschen und erst in zweiter Linie m/w/d.

Fortsetzung folgt!

Herzlichst

Eure Bianca

Outing im Alltag

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