Normal ist auch nicht mehr wie früher

Warum Transgender mitten in der Gesellschaft stehen!

„Der, die, *, oder das ist auch nicht normal“. Diesen Satz hören wir immer wieder. Er wird gerne genutzt. Aus unterschiedlichen Motiven. Meistens ist es das individuelle Urteil eines oder mehrerer Betrachter, was als normal anzusehen ist und was nicht. Manche sagen außerdem, früher sei alles besser und normaler gewesen. Auch das ist keine Tatsache, sondern eine Meinung. Grund genug also, sich mit der so genannten „Normalität“ zu befassen.

Der Duden beschreibt den Begriff „normal“ als „der Norm entsprechend“. Produkte und Werkstücke, zum Beispiel, müssen messbar sein und bestimmte Normen erfüllen, damit sie funktionieren. Es macht wenig Sinn, ein 5 Meter breites Auto zu bauen, damit alle vorne sitzen können, wenn die Fahrbahn nur rund 2,50 Meter hergibt. Schrauben müssen ebenfalls exakte Maße erfüllen, auch wenn Sie bei Manchen einmal „locker“ sitzen (was nicht schlimm sein muss!).

Normen für Menschen gibt es aus meiner Sicht nicht (Ausgenommen davon sind ausdrücklich die ethische Orientierung oder moralische Werte, die im Grundprinzip der Menschlichkeit münden). Es mag in manchen Fällen die Notwendigkeit zur Einordnung und Kategorisierung von einzelnen, persönlichkeitsprägenden Elementen geben. Der ganze Mensch wird jedoch nie erfasst. Wenn wir akzeptieren, dass jede einzelne Persönlichkeit, mit ihren vielfältigen Eigenschaften, Fähigkeiten, Bedürfnissen, Erwartungen und Interessen, einzigartig ist, so können wir nicht von „normal“ oder „nicht normal“ sprechen.

Modelleisenbahn für Erwachsene

Horst Seehofer und Rod Stewart, zum Beispiel, haben eine Gemeinsamkeit. Sie spielen gerne mit ihrer Modelleisenbahn. Das Hobby mag für einen Politiker oder Rockstar außergewöhnlich erscheinen. Es wäre jedoch unangemessen, die beiden deshalb an den Rand, ins Exotische und damit außerhalb einer nicht näher definierten Norm zu stellen. 

Sasa Kalajdzic ist ein 2 Meter großer Mittelstümer beim VFB Stuttgart (Ich oute mich hiermit als VFB Fan). Seine Körpergröße wird von Sportmoderatoren gerne erwähnt, verbunden mit dem Hinweis, dass er dennoch spielstark ist. „Große Fußballer können nicht spielstark sein! Sie können nur den Kopf hinhalten, um ins Tor zu treffen“, so klingt unterschwellig die oft abwertend wirkende Botschaft. Das kann durchaus als Diskriminierung mit Blick auf die Körpergröße verstanden werden, selbst wenn es Sasa Kalajdzic vielleicht nichts ausmacht.

Von der „Dorf-Transe“ zum Dorftrottel

Bei Transgendern werden ebenfalls Eigenschaften oder Fähigkeiten in einen Topf geschmissen, die wenig bis nichts miteinander zu tun haben. „Sie ist eine hervorragendere Zahnärztin, aber, uiihh, aufpassen, sie war früher ein Mann!“ könnte hinter vorgehaltener Hand gemunkelt werden. Auch hier hat beides nichts miteinander zu tun (Nicht alle Transgender sind Zahnärzte und nicht alle Zahnärzte sind Transgender). Ausgelöst werden damit evtl. nur verschiedenste Reaktionen. Von Toleranz über Neugier bis zur vollständigen Ablehnung ist alles möglich, selbst dann, wenn die Zahnärztin in ihrem Job ausgezeichnet ist und es beim Bohren überhaupt nicht weh tut.

Transidentität ist eben nur eine Facette der Persönlichkeit, neben vielen anderen (siehe meine früheren Beiträge „Transidentität (richtig) einordnen“). Daneben haben alle Transgender eine Fülle weiterer persönlichkeitsbestimmender Merkmale und Gaben. Sie machen einen ausgezeichneten Job. Sie kümmern sich um ihre Familien (oft mehr als Andere), oder sie engagieren sich ehrenamtlich. Es ist daher unangebracht, wenn Transidentität als ein Persönlichkeitsmerkmal überbetont, als etwas Schlimmes dargestellt und über all die anderen Fähigkeiten gestellt wird oder diese sogar ganz ausblendet. Nur, damit Transgender zumindest als weniger normal an den Rand der Gesellschaft geschoben werden können. Und um sich selbst als in der Norm befindlich zu bestätigen.

Ein Freund hat vor einigen Jahren anlässlich eines Weinfestes Verwandte in einem kleinen Dorf besucht. Am Nebentisch saß eine offensichtlich transidente Frau. Mein Freund hat seine Verwandten angesprochen, um mehr über sie zu erfahren „Das ist nur unsere Dorf-Transe“, bekam er zur Antwort. Eine solche Äußerung ist völlig daneben, untragbar, nicht akzeptabel und zudem ausgesprochen traurig. Zum „Dorftrottel“ ist es dann nicht mehr weit! Unglaublich, wie ein Mensch nur durch einen Satz ins Abseits geschoben werden kann. Mein Freund hätte wohl die Transfrau besser direkt angesprochen. An ihrer Situation im Ort hätte das aber nichts geändert.

Sich nicht selbst zur Randgruppe machen

Es ist in diesem Zusammenhang ausgesprochen wichtig, dass auch wir Transgender verstehen und darauf bestehen, dass wir keine Außenseiter sind. Wir dürfen uns keinesfalls selbst in die Ecke stellen. Dort kann es zwar schön „exotisch“ und „kuschlig“ sein, und es gibt so viel Aufmerksamkeit, wie Manche meinen. Es ist jedoch schwer, aus dieser Ecke wieder herauszukommen, wenn die Rolle des Außenseiters und Exoten erst einmal angenommen ist.

Deshalb mein Fazit: Transgender stehen mitten im Leben, mitten in unserer Gesellschaft. Dort erfüllen sie vielfältige und wichtige Funktionen, so wie viele andere Zeitgenoss*Innen auch! Ganz „normal“ eben!

Das sollten wir immer wieder deutlich machen! Nicht schrill und laut. Wir sollten uns einfach trauen, unser Leben mit allen unseren Persönlichkeitsmerkmalen zu leben. Damit wir in unserer Selbstverständlichkeit erkannt werden! Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die nicht in Gesellschaftsmitte und -rand unterscheidet bzw. Menschen innerhalb oder außerhalb einer zusammenschusterten Norm stellt, von der keiner weiß, wie sie zustande gekommen ist.

Damit alle Spaß haben an ihrem Dasein!

Herzlichst

Bianca

PS. Natürlich stellt sich die Frage: Gibt es auch Abnormales? Auf jeden Fall! Dazu gehört alles, was Menschen Schaden zufügt und gegen ihre Würde verstößt. Kriege, Tötungsdelikte, körperliche und seelische Misshandlungen, Missbrauch, Diskriminierung und zahlreiche weitere Vergehen dürfen getrost im Bereich der Abnormalität verortet werden, und sie müssen bestraft werden. Transgender sind dabei überwiegend Opfer und selten Täter.

Normal ist auch nicht mehr wie früher

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen
Cookie-Einstellungen